Wie Galilei zum Bullshitdetektor wurde

plus: Wieso man die Wissenschaft heute nicht ad hoc revolutioniert

Wirkt genervt von seiner Namensnennung in Diskussionen: Galileo Galilei Quelle: Justus Sustermans (gemeinfrei)

Wirkt genervt von seiner Namensnennung in Diskussionen: Galileo Galilei
Quelle: Justus Sustermans (gemeinfrei)

Galileo Galilei ist nicht nur einer der bekanntesten Vorreiter der Naturwissenschaften, sondern erstaunlich aktuell, wenn man im Internet auf Diskussionen stößt. Und das freilich nur mit mäßigem Inhaltsbezug. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Galilei, immerhin fast 400 Jahre alt, sind inzwischen weithin überholt oder gar widerlegt (was seinem Ruhm zurecht nicht abträglich ist, aber dazu gleich mehr).

Nein, eigentlich immer geht es um seinen Inquisitionsprozess und immer wenn es das tut, wird er von geistigen Tieffliegern als Argument herangezogen:

„Ihr lacht über mich – aber über Galileo hat man auch gelacht, also habt Ihr keine Ahnung …“

Das Thema ist alt, das Ganze ist im englischen Sprachgebrauch als „Galileo Gambit“ bereits in die Kultur eingezogen und im Deutschen als Galilei-Vergleich ebenfalls bekannt, aber das pure Maß an Absurdität, wenn sich Pseudowissenschaftler und andere Cranks mit Galileo vergleichen, ist immer wieder einen Blick wert. Und wenn es nur ist, um mal wieder ein wenig am eigenen logischen Denken zu feilen.

Anfangen tut es schon damit, dass die obige Aussage absolut wertlos ist. Tatsächlich ist Galileo in Schwierigkeiten geraten, als er im 17. Jahrhundert das heliozentrische Weltbild verteidigt hat. Vielleicht hat man auch über ihn gelacht. Aber gelacht hat man auch über meinen Bruder, der mit 8 Jahren die Bremsklötze an seinem Fahrrad geölt hat, um ein Quietschen loszuwerden. Galileo indes hat die Jupitermonde entdeckt, ein Thermometer gebaut, mehrere Wissenschaftszweige begründet. Das könnte einen auf die Idee bringen, dass das Lachen anderer nicht wirklich ein Beweis für die Qualität der eigenen Leistungen ist. Und so ist es auch: Es ist ein logischer Fehlschluss. Nur weil Hunde vor mir genauso Angst haben wie vor Gewittern, kann ich keine Blitze erzeugen, die mal eben Bäume spalten – so sehr ich mir das als nettes Add-On von der Evolution gewünscht hätte.

Dass man sich als Hobbyforscher mit einem prominenten Vorbild wie Galilei gerne vergleicht, ist nachvollziehbar – aber auch wenn’s in dem einen Fall sichtlich den Falschen getroffen hat, werden die weitaus meisten Leute ausgelacht, weil sie was wirklich doofes angestellt oder gesagt haben.

Wirklich absurd wird’s aber, wenn es um die Rollenverteilung geht. Der Name Galileis wird gerne von denen in den Mund genommen, die auf einen Schlag so ziemlich alles widerlegen können wollen, was in den letzten Jahrhunderten wissenschaftlich erwiesen wurde – manchmal inklusive der Erkenntnisse Galileis. Und die Zurückweisung, die sie erhalten, kommt aus der wissenschaftlichen Gemeinde. Leute, die Unstimmigkeiten auf Fotos ankritzeln und eine Seite Text dazu schreiben, dass die Forschung über freie Energie von den Ölkonzernen unterdrückt wird, wollen Einstein (und damit abertausende Folgeexperimente und -beobachtungen) widerlegen – während es anno 1632 Galilei war, der mit Experimenten und wissenschaftlicher Forschung an der dogmatischen Weltsicht einiger Kirchenoberen gescheitert ist. Heute würde Galilei diesen Cranks gegenübersitzen, grinsen und sagen:

„Sorry, Jungs, aber mit wackeligen Youtube-Videos beweist ihr mir nicht, dass die Sonne sich um die Erde dreht …“

Und das Problem am „Galileo Gambit“ ist nicht nur der logische Fehlschluss oder die Fehleinschätzung über die Seite, auf der man sich mit seinen „Theorien“ gerade befindet, sondern vielfach auch eine Fehlannahme über „die Wissenschaft“ an sich. Natürlich hat Galileo Galilei manche seiner Erkenntnisse noch ziemlich aus dem Bauch raus formulieren können und er lag, wie eingangs erwähnt, in vielen Punkten nach dem aktuellen Stand der Forschung auch nur so mittel richtig bis richtig falsch. Seit damals aber haben sich einige Dinge geändert – und zwar mitnichten nur, dass man Forschungsergebnisse nicht mehr mit der Kirche absprechen muss. Die wissenschaftliche Forschung hat sich vertieft und verbreitert, im Prinzip seit Galilei aufbauend auf Vorwissen, mitunter auch durch Verwerfen des selbigen. Jedem ernsthaften Forscher heute sollte klar sein, dass es mit zunehmender Erkenntnis über die Beschaffenheit der Welt immer schwieriger werden wird, „einfach mal alles neu zu denken“ – was im 17. Jahrhundert fraglos noch möglich war.

Ein kleiner Vergleich:

Wenn man eine neue Sprache entdeckt, ist es am Anfang noch möglich, dass man Buchstaben oder Worte falsch versteht und sie entsprechend nach einiger Zeit komplett anders übersetzen muss, weil es sonst keinen Sinn ergibt. Ja, vielleicht hieß dieses Symbol doch eher „Turm“ als „Höhle“ … Aber wenn man in besagter Schrift irgendwann mal zwei oder drei Bücher übersetzt hat, die teilweise noch mit Bildern illustriert waren, dann wird der Spielraum kleiner. Sicher, vielleicht lässt sich das Wort „Turm“ noch zu „Fernsehturm“ verfeinern – aber man wird halt nicht ernstgenommen, wenn man dann ankommt und sagt, dieses Wort bedeute eigentlich „Banane“. Weil es schon zu viele Sätze gäbe, die dann z.B. „Sie bestiegen die Banane.“ oder „Als die Banane zusammenbrach und drei Marktplätze unter sich begrub, war das Geschrei groß.“ hießen und diese Deutung (hochgradig) unwahrscheinlich machen.

Und genau aus diesem Grund wird heute wohl niemand mehr die Gravitation durch Elektrizität ersetzen können, sondern allenfalls besser herausarbeiten, wie die Gravitation funktioniert und ob es Gravitationswellen gibt und welche neuen Elementarteilchen vielleicht doch unerwartet und auch nur schwach mit ihnen wechselwirken, obwohl man das bisher nicht vermutet hat. Obwohl z.B. Einstein die Physik radikal erneuert hat und quasi zum Symbol großer wissenschaftlicher Revolutionen wurde, widerspricht seine Relativitätstheorie den Gesetzen Newtons nicht in allen Fällen und letztere werden in der Wissenschaft durchaus noch genutzt und als Lösungen für die bekannten Spezialfälle verwendet.

Fazit:

Wer immer auf die Idee kommt, sich mit Galileo Galilei zu vergleichen, weil seine ach so revolutionären Theorien von dogmatischen Wissenschaftlern schändlichst ignoriert werden, sollte sich erst einmal an die eigene Nase fassen und mal ernsthaft darüber nachdenken, ob nicht vielleicht die eigene „Forschung“ durchaus Anlass zur Kritik gibt. Und falls man wirklich davon überzeugt ist, alleine absolut richtig zu liegen und dass einfach alle anderen einen an der Klatsche haben, dann steht einem ja auch frei, genauso zu handeln wie das Vorbild Galilei: (Weitgehend) die Bestrafung akzeptieren und darauf hoffen, dass die Geschichte einem irgendwann einmal Recht geben wird …


Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Galileo_Galilei

https://www.psiram.com/ge/index.php/Galilei-Vergleich

http://rationalwiki.org/wiki/Galileo_Gambit

http://there-is-no-spoon.de/2015/06/26/alles-elektro-oder-was/

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