„Sanfte“ Medizin – wieso null Nebenwirkungen Bullshit sind

Pflanzenpräparat und (andere) Pflanze: Vereint in der Wirkung (Hochgefühl) und Nebenwirkung (Brand) Quelle: Sash

Zubreitungsformen verschiedener Pflanzen: Vereint in Wirkung (Hochgefühl) und Nebenwirkung (Brand)
Quelle: Sash

Ein fester Bestandteil vermeintlicher Alternativen zur Medizin sind die Lobpreisungen der Mittelchen und Methoden als besonders sanft, als nebenwirkungsarm oder im besten Falle als nebenwirkungsfrei. Das klingt zunächst super, denn niemand will eines dieser unglücklichen Wesen sein, die nach der Einnahme einer Kopfschmerztablette ausgerechnet Kopfschmerzen bekommen.

Um zu sehen, dass die Sache nicht so einfach ist, muss man gar nicht allzu tief in die Medizin einsteigen, sondern sich einfach mal einen Moment Gedanken über die Begriffe „Wirkung“ und „Nebenwirkung“ machen. Denn das sind lediglich Begriffe, die unseren Wunsch nach dem gewünschten Effekt beschreiben. In erster Linie hat ein medizinisches Mittel verschiedene Wirkungen und dem Medikament selbst ist es herzlich egal, was man gerade von ihm will. So kann man eine ASS-Tablette nehmen, um zu hohes Fieber zu senken – wenn man aber nur die Kopfschmerzen wegbekommen möchte und das Fieber gerade eigentlich hilfreich ist, ist die fiebersenkende Wirkung plötzlich zu einer unerwünschte Nebenwirkung geworden, trotzdem wird man sie seinem Aspirin nicht ausreden können.

Alles was wir zu uns nehmen, auch Nahrung, enthält eine Vielzahl chemischer Wirkstoffe, die auf den menschlichen Körper wirken. Viele dieser Prozesse sind nicht bekannt, nur teilweise bekannt oder Gegenteil aktueller Forschung. Und das macht mitnichten Halt vor rein natürlichen Substanzen, weil die Wirkung von Medikamenten und anderen Stoffen auf den Körper auf sehr kleiner Ebene stattfindet. Es gibt kein Mittel „gegen Kopfschmerzen“. Es gibt nur Mittel, die hauptsächlich oder teilweise eine Wirkung haben, die dafür sorgt, dass Kopfschmerzen gelindert werden. Die einen blockieren hier irgendwelche Rezeptoren, die anderen gehen dort eine Bindung mit Was-weiß-ich ein, sorgen so oder so für die Produktion oder Hemmung von Enzymen, Hormonen, was auch immer. Und egal was ein spezifisches Medikament im Körper anstellt: Auch dort gibt es meist kein „Kopfweh-Teilchen“, sondern die in Zusammenwirkung mit dem Medikament veränderten Vorgänge haben ihrerseits wieder viele Funktionen – und die sind mitunter von Mensch zu Mensch in verschieden guten Gleichgewichten. Will heißen: Einen Stoff zu finden, der bei allen Menschen genau dazu führt, dass ein ganz bestimmtes Krankheitssymptom bekämpft wird, ist wohl unmöglich. Gerade die inzwischen bekannten Nebenwirkungen der oben genannten Acetylsalicylsäure füllen inzwischen reihenweise Bücher – obwohl es zweifelsfrei eines der zuverlässigsten und meistgenutzten Medikamente weltweit ist und im Alltag von fast überall für seine unproblematische Handhabung gelobt wird.

Wer zum Beispiel Sorge hat, ob ein Cocktail aus Histamin, Acetylcholin, Serotonin, β-Sitosterin und verschiedener Flavonoide ihm gut tut, dessen Ängste betreffen mitnichten ein modernes Kombipräparat zur Krebsbehandlung (die Mediziner unter den Lesern schmunzeln jetzt* …), sondern die Brennnessel. Was ich sagen will, ist nicht nur, dass dieses „Chemie ist böse“-Gelaber Bullshit ist, sondern dass es zu einfach ist, in Pflanze und Symptom zu denken. Dahinter stehen immer komplexe Vorgänge – und viele Wirkungen (auch gerade die, die dann als Nebenwirkungen bezeichnet werden) können mal mehr und mal weniger spürbar sein, mal mehr und mal weniger gut, meist sind sie aber vorhanden.

Und da kommen wir zum Punkt: Wenn „Medizin“ angeboten wird, die „nebenwirkungsfrei“ ist, dann ist das (sollte es überhaupt wahr sein) ein gutes Indiz dafür, dass sie auch sonst wirkungslos ist – zumindest über den Placeboeffekt heraus. Wirkungs- und damit Heilungsprozesse, die funktionieren, müssen in irgendeiner Form auf chemischer oder physikalischer Ebene einen Effekt haben. Und diese Effekte halten sich nicht an unsere menschlichen Kategorien wie gut und böse, aua und heile oder mies und supi. Für nebenwirkungsfreie Wunderpillen wie z.B. Homöopathika ist nicht die Medizin zuständig, sondern eine andere Fachrichtung, die wir nicht ohne Grund aus unserem Alltag weitgehend entfernt haben: die Magie.

*Histamin zumindest wird durchaus in der Krebsbehandlung eingesetzt und ist laut Wikipedia im Übrigen ein Stoff, der Neurotransmitter und Gewebshormon ist, eine Rolle bei allergischen Reaktionen spielt, an der Regulation der Magensäure beteiligt ist, an der Entzündungsreaktion ebenso mitwirkt wie am Schlaf-Wach-Rhythmus und der Appetitkontrolle. Wer „nebenwirkungsfrei“ leben will, kann sich die Brennnessel also ziemlich sicher abschminken …

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