Der NDR erfindet „Gute Köche, schlechte Köche“.

Und das hat nur so mittel geklappt.

Manchmal überrascht man sich selbst mit den Links, auf die man am Ende einer langen Twitter-Scroll-Partie geklickt hat.  Aber letzten Monat dann eine NDR-Doku über Convenience-Food im Restaurant. Ja nee, ist klar. Ich glaube nicht, dass ich mir bis dato groß Gedanken gemacht hätte über Convenience-Food. Oder Restaurants. Oder gar NDR-Dokus. Vielleicht lag des daran, dass ich sie von einer netten Leserin in die Timeline gespült bekommen hatte, vielleicht, weil ich mich davon abzulenken versuchte, irgendwas zu schreiben.

Offenlegung: Deswegen schreibe ich jetzt diesen Text.

WDR 45 Min – Convenience Food im Restaurant? Screenshot: NDR Doku

Hatte ich zu Beginn noch ehrliches Interesse an den Ansichten des braven Kochs, der von Fertigkomponenten in seinem Essen nichts hält, ist meine Meinung ziemlich schnell umgeschlagen, obwohl – oder vielleicht auch genau weil – die Doku ziemlich rüde versucht hat, in eine bestimmte Richtung zu denken. Und ja, das war natürlich die gute alte „Oh nein! Fertigessen! Im Restaurant? Böse!“-Ansicht.

An der Stelle kommen wir schon an den ersten schwierigen Punkt bei der Sache: So sonderlich genau hat niemand die Definition des Begriffs Convenience-Food aufgeschlüsselt. Denn erst einmal sind selbst abgepackter Saft oder Milch Convenience, weil deren unkomplizierter Konsum eben bequemer ist als das direkte Auspressen von Früchten und Kühen.
Und bevor man der Versuchung nachgibt und einwirft, dass man ja keinen Garten habe – und schon gar keine Kuh – stellt man fest, dass das auch auf die meisten Köche zutrifft. Auch Köche kaufen ein. Und so sehr ich Back-to-the-Basics-Koch-Enthusiasten mag: Deren Job ist es, mir ein schmackhaftes Mahl auf den Tisch zu zaubern. Wie sie das machen, kann mir erst einmal egal sein.

Und da haben wir jetzt den Graubereich, den die Doku meiner Meinung nach viel zu ungenau ausleuchtet. Denn selbstverständlich ist Etikettenschwindel und tatsächlicher (z.B. juristisch haltbarer) Betrug falsch und berichtenswert. Aber im Jahr 2017 darüber jammern, dass einem butterfreie Sauce Hollandaise gereicht wird, obwohl die gerichtliche Entscheidung, dass das ok ist, bereits mehr als 20 Jahre auf dem Buckel hat … da wird meines Erachtens nach ziemlich viel Stimmung erzeugt mit vagen Bildern von Echtheit und Reinheit, die mehr liebgewonnene Folklore sind als Realität. Im „echten“ Chili con carne waren dereinst keine Bohnen und selbst der Bolognese sind die Spaghetti erst in der Moderne als Beilage zugeordnet worden und trotzdem empfindet fast niemand da draußen es als „falsch“, diese Gerichte so zu essen.

So gesehen deckt die Dokumentation nämlich allenfalls etwas auf, was nicht wirklich ein Skandal ist: Die Küche in vielen Restaurants ist heutzutage in der Moderne angekommen. Es geht nicht darum, dass ein Sterne-Koch sich seines Familienrezeptes rühmt und nun skandalöserweise rauskommt, dass es sich um „Maggi fix für Fertigbeton“ handelt. Sicher handeln einige der Restaurants fragwürdig, wenn sie auf Nachfrage behaupten, ihre Sauce Hollandaise sei selbstgemacht, aber wessen Rezepte beinhalten nicht hier und da Fertigkomponenten? Bzw. wo fangen wir an? Bei der haltbar gemachten Milch aus dem Tetrapack, bei Gewürzmischungen wie Curry oder erst bei Bratensaucenpulver von Knorr?

Meine Bratensauce hier zuhause basiert auch auf Pulver. Dazu kommen aber neben dem obligatorischen Wasser noch Knoblauch, Pfeffer, Tomatenmark, Senf, Chilis, Oregano und ein paar frisch angebratene Zwiebeln. Wer will da jetzt urteilen, ob das jetzt „richtiges“ Kochen ist? Und auf welcher Grundlage?

Das Hauptproblem ist; neben dem ganzen Natürlichkeitsquatsch, mit dem sich beispielsweise die „Alternativmedizin“ bemüht, flächendeckend die Kindersterblichkeit zu erhöhen; dass der Anspruch, der hier geltend gemacht wird, nie fixen Kriterien entspricht. Wenn etwas „in der Industrie“ gemischt wird, ist das per se schlechter als wenn das der gute alte Koch macht. Dass allerdings gerade so Kleinigkeiten wie Qualitätskontrollen und Lebensmittelsicherheit industriell viel besser gewährleistet werden können als von einem einzelnen Küchenchef in einem kleinen Lokal, wird natürlich gar nicht erst angesprochen:

Der Koch muss das schon alles selbst machen!

Warum?

Selbst wenn zu viele Köche geradezu sprichwörtlich den Brei verderben, haben sie im Laufe der Jahrzehnte im Zusammenspiel mit tausenden Lebensmitteltechnikern halt Mittel entwickelt, mit denen sie (oder die Kunden zu Hause) Arbeitsschritte überspringen oder Dinge einfacher, schneller und/oder günstiger herstellen können. Und das leitet zu einem verdammt wichtigen Punkt über, der mir dann doch seit längerer Zeit ein Dorn im Auge ist:

Diese überbordende Sättigung, mit der wir uns erlauben, hart erkämpfte Entwicklungen als böse zu brandmarken, weil wir es uns leisten können und weil wir gelangweilt sind. Sicher: Unsere Urgroßmütter haben noch fünf Stunden des Tages in der Küche verbracht, um Abends einen schmackhaften Eintopf auf den Tisch zu kriegen. Aber die würden uns den Hintern versohlen, wenn man sie dazu gezwungen hätte, obwohl man das Zeug billiger hätte fertig kaufen können. Es ging halt nicht anders, das war nicht hip, sondern schlicht der Not geschuldet.
Und heute halt Köche: Stehen unter völlig indiskutablen Arbeitsbedingungen bei meist mehr als mäßigem Lohn hinter ihren Pfannen – aber ja, wehe, wenn ausgerechnet die sich irgendwas einfallen lassen, was ihnen die Arbeit erleichtert!

Und dann sitzen die Gäste für den Zuschauer dekorativ in dem Laden, der Fertig-Hollandaise nur leicht modifziert auftischt und erzählen, dass man hier noch merke, dass „richtig“ gekocht würde. Leicht bedeutungsschwanger wird dann gefragt, wie „ehrlich“ das sei. Wohlbemerkt nachdem der Koch das Nutzen von Fertigprodukten erklärt und dazu steht, sie zu verwenden.
Noch einmal: Hier mischt niemand Fleisch in als vegetarisch deklarierte Gerichte, serviert heimlich nicht halal oder verwendet vergammelte Lebensmittel. Auf der Karte wird Sauce Hollandaise versprochen und die Kunden finden’s lecker. Der einzige Aufreger ist, dass die Kunden ohne Nachzufragen davon ausgehen, dass der Betrieb selbstverständlich seit der Sintflut ohne Änderungen aufrechterhalten wird.
Eine Kundin des „guten“ Restaurants, wo alles selbst gemacht wird, hat zuvor erklärt, dass sie sich „eine Maggi-Tüte“ auch zuhause aufreißen könne und sie sich im Restaurant nach einem teuren Essen nicht ärgern möchte, dass es „nur so 08/15 geschmeckt“ hätte. Verständlich. Aber was ist denn, wenn’s einem doch gut geschmeckt hat, wie dieser Kundin offenbar? Hier wird wieder bedeutungsschwanger angedeutet, dass irgendein Kartenhaus zusammenbricht, wenn endlich mal wer aufzeigen würde, dass die gut schmeckende Sauce Hollandaise gar nicht – ja, was eigentlich – gut schmecken kann? Im Übrigen: Selbstverständlich nutzen die Journalisten diese Möglichkeit, den betrogenen Bürgern endlich die Wahrheit aufzutischen, auch nicht. Oder das Filmmaterial wurde einfach nicht verwendet, weil die Reaktion nicht enttäuscht oder geheimnisvoll genug war?

(Sieh mal einer an, wie schnell man mit einem einzigen Fragezeichen alles anrüchig machen kann …)

Diese Vorstellung, dass man nicht nur die Qualität einer Dienstleistung betrachtet, sondern auch noch bestimmen will, wie sie erbracht zu werden hat, die ist ein ziemlich ekliger Auswuchs der Überflussgesellschaft: Wo kein tatsächlicher Mangel zu finden ist, finden sich stattdessen irgendwelche Puristen mit höchst subjektiven Ansprüchen an ein vermeintlich „richtiges“ Vorgehen.
Das muss so ein grundunsympathischer Neid-Reflex sein. Man stellt fest, dass das, was man da gerade gekauft hat, ja doch keine Hexerei ist und dass es deswegen ja eigentlich hätte billiger sein müssen als die Hexerei, die man sich davor erhofft hatte. Dass ein Koch ein ausgewähltes wohlschmeckendes Essen zubereitet, nett anrichtet und das Ganze in einem Restaurant von netten Leuten serviert wird und man sich als Gast wohlfühlt – das ist der Deal!
Den Rahmen, in dem diese Leistung erbracht wird, den geben diverse Richtlinien und Verbote, Deklarationspflichten, Hygienevorschriften etc. pp. vor, nicht ein „Das hatte ich mir aber anders gedacht“.

Und – ich weiß, ich wiederhole mich – das bedeutet nicht, dass man selbst keine anderen Ansprüche haben darf. Natürlich kann man nur bio, nur vegan, nur regional oder ohne Zusatzstoff XY essen wollen. Dann muss man aber halt im veganen Bio-Restaurant mit regionaler Küche ein Essen „ohne XY“ ordern. Ich meine, da draußen rennen auch Leute rum, die was gegen Barcodes, schlechte Schwingungen und Muscheln haben – oder Angst davor, von Gymnasiasten bedient zu werden. Woher soll denn bitte ein Dienstleister wissen, auf was für komische Gäste er noch treffen könnte?

Aber klar: Richtig ist immer genau das, was man selbst für „normal“ hält, nicht wahr? 😉

Am Ende ist es dieser Graubereich und zudem diese alte Gut-Böse-Dichotomie vom guten Koch hier und der bösen Industrie dort, die das Ganze so aufgesetzt wirken lässt. Dabei schwächelt die Doku sogar an dieser Stelle, als zum Beispiel ausgerechnet ein Hersteller von Fertigprodukten für die Gastronomie zu Wort kommt, der früher selbst Koch war.

Sorry, so wirklich überzeugend erscheint mir die ganze Sache nicht, denn Kosten werden überall versucht zu minimieren, ob nun bei Unilever oder im Restaurant zur gutgläubigen Schnecke. „Das Böse“ funktioniert als Konzept halt doch eher in Religionen und weniger im Alltag, auch wenn wir’s gerne so hätten.

Zu guter Letzt sei angemerkt: Wenn die Doku in ihrem letzten Punkt recht hat, also damit, dass das alltägliche Verwenden von Fertigprodukten einen negativen Einfluss auf die Ausbildung von Köchen hat, dann ist das zweifelsohne schlecht. Natürlich sollte es Leute geben, die auch mit der traditionellen Zubereitung bestimmter Speisen Erfahrung haben. Und natürlich gibt es ein Publikum da draußen, das die Unterschiede erkennt und das meinetwegen auch weiter mit Essen versorgt werden soll, bei dem man noch rausschmecken kann, welche Bienenart es nun war, die dem Obst durch seine Weiterverbreitung diesen oder jenen Beigeschmack verpasst hat. Ich bin ein Freund von Kunst und ich mache da für die Kochkunst keine Ausnahme. Selbst die eher abstrakte Weitergabe von Wissen halte ich für einen Wert an sich.

Aber können wir das Ganze dann bitte trennen von der Frage, ob irgendein Mittfünfziger in einem Restaurant ohne entsprechenden Background sich wünschen würde, dass der Koch mit seinem immer für gut befundenen Essen noch etwas mehr Stress hat als ohnehin? Denn das ist es, worauf die Dokumentation am Ende rausläuft, nicht darauf, ob die Küche dort „gut“ oder „schlecht“ ist.

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