Gericht bestätigt die Arbeitsunfähigkeit einer Elektrosensitiven

Vielleicht nur halb so tödlich, wie es aussieht: Handy. Quelle: Towel401 [Public domain], via Wikimedia Commons

Vielleicht nur halb so tödlich, wie es aussieht: Handy. Quelle: Towel401 [Public domain], via Wikimedia Commons

Interessante Nachrichten aus unserem Nachbarland Frankreich: Einer „elektrosensitiven“, bzw. „elektrohypersensiblen“ Frau ist bestätigt worden, dass sie arbeitsunfähig ist und dass sie zumindest für vorerst 3 Jahre eine Rente bekommt. Eine gewagte, aber auch nicht dumme Entscheidung.

Zunächst einmal ist natürlich festzuhalten, dass der Betroffenen, Marine Richard, die Ruhe in ihrem neuen funk- und kabelfreien Zuhause am Arsch der Welt, fern aller Funkmasten, gegönnt sei. Denn was unbestritten ist: Elektrosensitive Menschen leiden Höllenqualen und das zu mildern, ist aus humanitären Gründen absolut großartig.

Die andere Seite ist halt: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat die Strahlung nichts mit dem Leiden von Frau Richard zu tun, die aber verknüpft das natürlich trotzdem mit der Hoffnung, dass ihrem Sieg weitere Fälle folgen und für Sie und die anderen Betroffenen endlich strahlungsfreie Zonen eingerichtet, bzw. erhalten werden. Ganz davon abgesehen, dass das Urteil sicher bald auf allerlei Esoterik-Seiten, die irgendwelche wirkungslose Aufkleber fürs Handy an ihre Opfer verticken wollen, als Beweis für die Theorie schädlicher „Handystrahlung“ auftauchen wird.

Das aber gibt das Urteil nicht her. Wenn man rp-online, bzw. dem Interview von Frau Richard bei la depeche glauben kann, dann wurde die Klägerin als zu 85% behindert anerkannt, nicht als von Strahlung erkrankt. Und dieser Unterschied ist wichtig, denn das Problem der Elektrosensibilität, (auch -hypersensibilität oder -sensitivität) besteht aus einem scheinbaren Widerspruch:

  1. Ja, die Leiden der Opfer sind real.
  2. Ja, Strahlung hat damit nichts zu tun.

Aber wie gesagt: Der Widerspruch ist nur scheinbar. Die Lösung ist in der Sache einfach, im Einzelfall schwierig: Für die Symptome der Erkrankten sind andere Dinge verantwortlich, bzw. es handelt sich um eine psychosomatische Erkrankung, den Noceboeffekt oder eine hypochondrische Störung.

Ein Indiz dafür, dass die Sache schwierig ist, gibt es seit etlicher Zeit: So sehr sich die Wissenschaftler rund um den Globus auch anstellen – sie haben bisher keinen Hinweis darauf gefunden, dass die Art elektromagnetischer Strahlung, um die es zumeist geht (Funk, Radio, UMTS, W-LAN etc. pp.) irgendwie schädlich sein könnte – zumindest in Dosen, die ein normaler Mensch irgendwo außerhalb seiner Mikrowelle noch abkriegen könnte.

Während man das noch mit „Dann muss das halt noch gefunden werden!“ abtun könnte, erweisen sich jedoch ausgerechnet die Studien mit Elektrosensitiven als Fallstrick für genau jenen Zusammenhang. Bisher jedenfalls zeigten diese Studien eigentlich nur, dass Menschen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, zwar Symptome entwickeln, wenn sie wissen, dass sie Strahlung ausgesetzt sind, jedoch unabhängig davon, ob diese Behauptung wahr oder falsch ist. Sind sie der Strahlung ohne ihr Wissen ausgesetzt, treten auch keine Symptome auf. Selbst der inzwischen zum Witz verkommene Funkmast, über den auch geklagt wurde, als er  ausgeschaltet war, hat mindestens ein Pendant in der wirklichen Welt.

Und so gesehen ist das Urteil tatsächlich fair Frau Richard gegenüber, ohne jedoch vorschnell dubiosen Theorien (die im Einzelfall bis hin zu gezielten Angriffen seitens IHNEN reichen) über die Wirkung von elektromagnetischer Strahlung und elektromagnetischen Feldern in den betreffenden Bereichen Futter zu geben. Obwohl diese Interpretation wie oben erwähnt sicher nicht ausbleiben wird, Logik hin oder her.

Abschließend sei gesagt, dass man auch bei Elektrosensitivität vorsichtig mit Vorurteilen sein muss. Man mag sich als nicht Betroffene/r leicht tun, das als Spinnerei abzutun, aber man sollte nicht vergessen, dass auch psychische und psychosomatische Erkrankungen in erster Linie Erkrankungen sind. „Der bildet sich das ein!“, ist leich gerufen – aber so lange die Betroffenen nicht in der Lage sind, sich das wieder „auszubilden“, sollte man deren Leiden anerkennen. Mit einem Beinbruch kann man nicht ordentlich laufen, bei einer Depression sich nicht einfach aufraffen und bei Elektrosensibilität vielleicht sich nicht einfach „nicht so anstellen“ – so ist das halt. Weitere Forschung ist hier definitiv nötig, aber vielleicht ja doch – wie die deutsche Strahlenschutzkommission nach eingängiger Untersuchung 2008 befunden hat – „außerhalb der EMF-Forschung“.*
Andererseits sollte man sich vielleicht überlegen, ob der gerichtliche Weg seitens der Betroffenen für diesen Fortschritt der bestmögliche ist. Zum Beispiel, wenn in Massachusetts Eltern eine Schule verklagen, nachdem dort besseres W-LAN eingerichtet wurde

*EMF = elektromagnetische Felder

Quellen:

http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/news/wlan-allergie-schmerzensgeld-vom-gericht-wegen-wlan-strahlung-aid-1.5360586

http://www.ladepeche.fr/article/2015/08/27/2165741-marine-richard-il-faut-creer-des-zones-blanches.html

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/negativer-placebo-elektrosmog-wirkt-auch-ohne-strahlung-a-496623.html

http://www.who.int/peh-emf/publications/facts/FS193_German_Aug2015.pdf?ua=1 (PDF)

https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrosensibilit%C3%A4t#Studienlage_zur_Elektrosensibilit.C3.A4t

https://www.psiram.com/ge/index.php/Elektrosensibilit%C3%A4t

http://mybroadband.co.za/news/wireless/11099-massive-revelation-in-iburst-tower-battle.html

http://www.vice.com/read/the-parents-of-a-kid-in-massachusetts-are-suing-his-school-because-the-wifi-is-making-him-sick-vgtrn-265?utm_source=vicetwitterus

2 Comments

Add a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert