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Monat: Oktober 2008

Huberts Mutter ist tot

Huberts Mutter ist tot

Als Hubert eines schönen Tages nach Hause kam, fand er seine Mutter eher leblos am Küchentisch vor. Eigentlich wäre das ein Grund gewesen, in Trauer zu verfallen, denn sie hatten sich immer sehr gut verstanden. Dennoch: So ein Gefühl wollte in Hubert nicht aufkommen. Er freute sich nicht darüber, schließlich war es seine Mutter, aber er erkannte doch auch die Möglichkeiten, die sich von nun an für ihn boten. Zuerst machte er von seinen neuen Freiheiten Gebrauch, indem er ihr restliches Essen verputzte, ihren Kopf anhob und ihr ein lautes „Ätsch!“ entgegenschleuderte. Dann füllte er den Teller nach und holte ihre Kamera aus der unteren Schlafzimmerschublade. Er stellte gekonnt die Szene nach, die ihn in Slapstick-Komödien immer am besten gefallen hat: Wenn Tote mit ihrem Kopf in den Suppenteller fallen. Dann setzte er sich vor den Fernseher und sah sich diese Aufnahme etwa fünfundzwanzig Mal an, und erarbeitete ein Konzept, wie man diese kurze Sequenz dramaturgisch noch verfeinern könnte. Während er sich Gedanken über besseres Licht machte, kam ihm in den Sinn, dass er dazu das Gesicht seiner toten Mutter abwischen müsste. Das fand er eklig und verwarf den Gedanken.

Ihm war klar, dass er jemanden informieren musste, und so rief er Heinz an. Heinz war sein bester Freund, er saß in der Schule direkt neben ihm.

Heinz war etwas überrascht, wollte aber gleich vorbeikommen, da er noch nie eine Tote gesehen hatte und das ganze irgendwie unheimlich fand. Hubert erschrak ein wenig, als Heinz dann fünf Minuten später klingelte, weil er irgendwie den Verdacht hatte, dass jemand von der Sache Wind bekommen hätte. Aber Heinz wusste, dass sie nicht lange Spaß an der Sache haben könnten, wenn er jemandem davon erzählt, also ließ er es.

Zuerst machte Hubert sich darüber lustig, dass Heinz das Unheimlich fand. „Das ist meine Mutter. Was ist daran so unheimlich? Ihr habt euch doch bisher auch blendend verstanden, ich weiß gar nicht, was Du hast. Außerdem ist sie in dem Zustand mit Sicherheit nicht mehr gefährlich.“

Alsbald sah Heinz das ein und er half mit, sie ins Wohnzimmer zu tragen. Dort machten sie ein paar Erinnerungsfotos. Mutter mit Heinz. Mutter mit Hubert. Mal auf der Couch, mal im Sessel. Dann entdeckten sie, dass sie sie ja auch verkehrt herum auf die Sitzmöbel positionieren können. Beim ersten Versuch kleckerten sie den Teppich voll mit der Suppe, die der Frau aus den Haaren rann.

„Du,“ fragte Heinz, „woran ist sie denn eigentlich gestorben?“

„Gute Frage, darüber hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Vielleicht ist sie erstickt am Essen. Verhungert ist sie definitiv nicht!“

„Oder vergiftet…“ warf Heinz ein.

„Nein, sie hat das Essen selber gekocht, und ich hab auch schon einen Teller gegessen, bevor ich ihren Kopf reingesteckt hab.“

Es ist in der Tat eine erstaunliche Geschichte. Wie stirbt eine kerngesunde 40-Jährige beim Mittagessen ohne Gewalteinwirkung? Hubert und Heinz einigten sich darauf, dass sie sich wohl beim Zurücklehnen das Genick gebrochen hat. Das fanden sie plausibel, und so konnten sie weiter spielen. Karten spielen war gar nicht so einfach. Mutter wollte einfach nicht so recht mischen und ausgeben. Außerdem schummelte sie. Ganz eindeutig. So viele gute Karten konnte man gar nicht bekommen. Also schummelten Heinz und Hubert zurück indem sie sich verbündeten. So konnten sie immerhin die Hälfte aller Spiele gewinnen. Dann einigten sie sich darauf, eine Playmobil-Stadt auf ihr zu errichten. Immerhin gab es ein Kartoffelbergwerk in ihrem Mund. Optimale Vorraussetzungen, um eine Stadt zu gründen. Heinz meinte, damit hätte die Stadt sogar mehr Rohstoffe als die, in der sie Tatsächlich wohnten. Hubert musste zustimmen, dass er noch kein Kartoffelbergwerk in der Stadt gesehen hat. Das faszinierte sie, und so förderten sie Kartoffelstückchen aus ihrem Mund, bis das Vorkommen erschöpft war. Dann brach ein Krieg aus zwischen den Arbeitern der linken und denen der rechten Brust, und irgendwann waren alle tot. Der Ausgang des Spiels schien gut zu passen zu den Umständen. Dann musste Heinz nach Hause, und sie trugen Huberts Mutter zu zweit noch ins Schlafzimmer und legten sie ins Bett. Und zwar so, dass am Kopfende nur die Füße herausschauten. Das sah so lustig aus. Dann verabredeten sie sich für den nächsten Nachmittag und Hubert ging ins Bett.