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Monat: September 2008

Sonntag

Sonntag

Eine humoristische Kurzgeschichte über einen Kater, Außerirdische und wie Aspirin die Welt ein zweites Mal verändert

Was ist das schon wieder für ein Morgen? Es ist an solchen Tagen immer schon relativ schwer, sich aus dem Bett zu quälen. Aber Sonntage hasse ich! Na gut, eigentlich nur in genau zwei Fällen: Fall a hat zu tun mit dem unfreiwilligen Gewecktwerden mittels eines Weckers. Das ist meistens deswegen der Fall, weil man mittelbar oder unmittelbar mit dem Verdienen von Geld beschäftigt ist, dass einem dann einen Morgen wie Fall b beschert. Man kann den heutigen Tag durchaus in die Kategorie b einordnen. Übermässiger Genuss alkoholischer Getränke am Vorabend, zuviel Nikotin und sonst so ziemlich jeden Grundsatz gebrochen, den einem vernünftige Ärzte, Psychologen, Freunde und Bioladen-Besitzer auferlegt haben.

Guten Tag allerseits. Mein Name: Tut nichts zur Sache, und irgendwie hasse ich meine Eltern dafür, dass sie mich auch noch „Tut“ nennen mussten, aber das ist eine andere Geschichte. Ich will erzählen von einem fast komplett normalen Tag in meinem Leben. Er sollte die Welt verändern. Welche, das werden wir noch herausfinden. Unangenehmer Morgen, Typ b, da waren wir doch stehengeblieben. Jetzt erinnere ich mich wieder.

Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll!

Ja, das ist mein Leben. Bezeichnenderweise war es das eher. Zumindest gestern Abend. Nun, an Sex kann ich mich zwar nicht erinnern, aber die tiefen Furchen zwischen den Blasen meiner Hände und ein ständiges Brennen im Genitalbereich lassen mich Handcreme auf meine nie geschriebene Einkaufsliste setzen. Die Drogen? Oh Mann, ich sollte noch eine Aspirin nehmen, anders werde ich den Tag kaum überleben, aber das kann auch mit der Musik zusammenhängen. Da wären die drei Dinge, die mein Leben prägen wieder beieinander. Zunächst einmal bleibt mir gar nichts anderes übrig als im Bett zu bleiben. Ich hab gestern meine Playlist an drittklassiger Action nicht ganz geschafft. Ok, was haben wir da? Atomare Bedrohung durch Nordkorea (Mein Kopf kann denen was von ner Bedrohung durch Korea erzählen, alter Schwede!), fehlerhafte Software, die Tochter des Präsidenten wird ermordet, und irrsinnige Astrologen bedrohen die freie Weltordnung. Klingt komisch ist aber so. Auch in Amerika scheint die Hälfte der Polizisten meinen Namen zu tragen. Ich schalte am Ende dann doch ab, und jetzt weiss ich nicht, ob Parker den Präsidenten wirklich zum Grossvater gemacht hat. Verdammt! Aber ich hab Hunger. Auf dem Weg zur Küche habe ich eine kurze Unterredung mit dem Anrufbeantworter. Die Zahl der sich beschwerenden Nachbarn wegen des gestrigen Abends liegt im Monatsmittel, also lösche ich sie. Wo waren die Aspirin? Ich beschliesse, dass eine Kopfschmerztablette prima eine Mahlzeit ersetzen kann, und ich beschliesse, die Menschheit irgendwann einmal an dieser Weisheit teilhaben zu lassen. Aber den Ansatz produktiver Arbeit verschiebe ich auf irgendwann ins nächste Jahrtausend. Seit 5 Jahren etwa macht das auch wieder Sinn. Mein Mitbewohner rennt in panischer Angst durch die Wohnung und sucht seinen Badezusatz. Ich glaube, ihn im Bad gehört zu haben, aber ich sehe nicht nach, könnte ja schon ausgezogen sein. Und wer weiss: Falls Parker die Tochter des Präsidenten nicht gekriegt hat…

Soweit, so ungut. ich versuche mich auf die wichtigen Fragen des Lebens zu konzentrieren, was in meinem Zustand ein erbärmlicher Versuch bleibt. Das einzige, was ich in meiner physischen und psychischen Suboptimalität noch erfasse ist, dass ich aufgrund des erhöhten Konsums gestern Abend keine Zigaretten mehr habe. Während ich mir eine Überdosis Aspirin verabreiche, krame ich in allen Ecken meiner Bude nach dem bisschen Metall, dass leider zu hässlich für Schmuck war, und dem Menschen jetzt offiziell als Zahlugsmittel dient. Ich bin noch am Sinnieren über die Möglichkeit, Aspirin intravenös zu konsumieren, da meldet meine Geldbörse einen Erfolg. Eine Spritze ist aber einfach nicht aufzutreiben, das ist doch unglaublich. Wozu verstecke ich eigentlich immer die Utensilien meiner Freunde?

Ich versuche meinen Kopf zu ignorieren. Erstaunt stelle ich fest, dass mir das in diesem Moment nicht gelingt. Ich bin mir aber sehr sicher, dass sich das in dem Moment ändert, in dem wir der Situation eine Prise des anderen Geschlechts hinzufügen. Na gut, also stolpere ich mit einem Kopf durch die Gegend, der so hohl ist, dass das wiederkehrende Echo des Pochens noch in der Nachbarwohnung als Technoparty durchgehen könnte. Auf dem Weg zum Zigarettenautomaten denke ich noch ein bisschen über den Zusammenhang zwischen Techno und hohlen Köpfen nach, lasse es aber bald wieder bleiben. Wieso gibt es kein Sonntags-Philosophier-Verbot? Die Strassen sind wie leergefegt, kein Wunder, wir haben schliesslich erst 7 Uhr in der Frühe. Die erste Zigarette vor dem Automaten gibt mir dann die Gelegenheit, mich mit der Kirchturmuhr über die Definition von 7 Uhr in der Frühe zu streiten. Etwas geknickt verlasse ich die Szenerie nach 5 Minuten.

Plötzlich steht er vor mir: Klein, grau, gebückter Gang, grosse Augen. Sonntag morgen, kurz nach sieben, total verkatert, und jetzt noch ein Ausserirdischer? Das wird mir zuviel. Er kriegt von mir so einen auf die Nuss, dass er bestimmt nicht mehr mitkriegt, wie ich seinen Heimatplaneten verunglimpfe. Am nächsten Morgen wird im Lokalteil der Presse stehen, dass ein unbekannter Irrer auf offener Strasse nachmittags um viertel nach drei einen Anwalt niedergeschlagen hat mit den Worten „Da wo Du herkommst, ist Oleg ein Held, oder?“

Ich werde den Artikel mit Bestürzung lesen, und froh sein, dass ich nur morgens kurz Zigaretten holen war. Sonst hätte er mich vielleicht auch erwischt.

Bleiben wir aber in der Gegenwart. Die ist mir nämlich anstrengend genug. Meine Auseinandersetzung mit dem Alien hat mich nämlich ziemlich beeinträchtigt, was die Beweglichkeit meiner Finger angeht. Ich beschliesse, die blutenden Wunden (die Biester haben Glasaugen!) zu desinfizieren, und um ganz sicher zu gehen, dass ich mir keine ausserirdischen Bakterien eingefangen habe, desinfiziere ich mich von innen und aussen. Ich fühle mich umgehend besser. Die Kopfschmerzen verschwinden, ich fühle mich wacher, und um meine volle Einsatzkraft zurückzugewinnen, nehme ich auch noch die zweite Flasche zu mir, aber dann halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich muss jetzt wissen, ob die Tochter des Präsidenten noch zu haben ist!

Die Navigation durch den Software-Müll, der sich in den gestrigen Abendstunden auf meiner Festplatte angesammelt hat, fällt unter dem Einfluss der Desinfer… Desfirez… Defirbra…, der Ausschaltung der Alienbakterien relativ schwer. Man, komplizierter sind die beknackten Aufträge von diesem Möchtegern-James-Bond auch nicht. Aber was soll man sagen? Die Sau hat sie gekriegt. Und ich hab noch nichtmal Handcreme. Wie eingangs erwähnt: Ich hasse Sonntage!

Mein Mitbewohner fängt langsam an, sich zu wundern, als ich beginne mit blutenden Händen und einer Flasche Schnaps in der Hand das Wohnzimmer zu belagern. Meiner Aufforderung, er solle sich verziehen, es ginge um Belange der Menschheit, kommt er zwar nach, aber ich bin mir sicher, dass er mir nicht glaubt. Ha ha! Selten gab es einen derart missunterschätzten Menschen wie mich. Na gut, vielleicht den ein oder anderen Präsidenten, aber was ich zu tun habe, das ist tausendmal wichtiger. Ich habe meine minimal 995jährige Pause auf ein paar Stunden herabgekürzt. Ich weiss eben, was ich der Menschheit schuldig bin. Meine wissenschaftliche Aufarbeitung der Tatsache, dass eine Tablette eine Mahlzeit ersetzen kann, darf nicht länger warten. Ich bemühe mich mittels Telefon um einige Versuchspersonen, aber in dieser kritischen Phase bereits scheint alles zu scheitern. Keiner will an meinen mehrmonatigen Forschungen teilnehmen. Ich soll den Nobelpreis ganz alleine für mich haben. Die Welt ist eigentlich viel zu gut zu mir. Aber die Wissenschaft erfordert es, Opfer zu bringen. Dennoch: Nichtmal mein Mitbewohner oder sein Badezusatz (doch nicht die Präsidenten-Tochter) erklären sich bereit, für mich das Versuchskanninchen zu spielen. Irgendwie wirkten die beiden richtig …böse! Wie kann man Geschlechtsverkehr so überbewerten, dass man nicht mal mehr für wichtige Experimente damit aufhört. Also muss ich wohl selber beweisen, dass meine Theorie stimmt. Um das Ergebnis nicht zu verfälschen, stelle ich mir erstmal eine Dose Ravioli in die Mikrowelle. Denn: Mit leerem Magen hungert es sich nicht so gut.

Während die Küche hinter mir explodiert, und mich den Rest des Tages von der Versuchung fernhält, doch noch was zu essen, werfe ich mir eine Aspirin ein und desinfiziere mich noch ein bisschen. Die Wirkung ist enorm. Ich spüre förmlich, wie die bösartigen Alien-Bakterien aus mir weichen, und die Erkenntnis, dass ich auch keinen Hunger mehr spüre zwingen mich zu Boden. Da liege ich nun im Wohnzimmer, und schreibe diesen Text und wundere mich, warum irgendjemand den Monitor lila angemalt hat. Ich schicke über ein Dutzend Email-Verteiler meine Forschungsergebnisse in die ganze Welt, und dass Du ihn jetzt liest, füllt mich mit tiefer Freude und ich fühle mich der glücklichen Ohnmacht so nahe…

T. Nichts zur Sache